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FREMDESTE FERNE – NOCH IN DER BERÜHRUNG
Zu den Paradoxien des Bildes in der Malerei von Peter Holl
Text von Kathrin Busch
Menschen, draußen unter freiem Himmel, in Bewegung – gemalt wie sie durch eine Scheibe erscheinen, oder besser: wie sie
verschwimmen, denn oftmals wird der Blick auf sie gestört. Oder Kirmesbilder – das Leben selbst in der prallsten Form aus der Vogelperspektive
betrachtet, fernab des Vergnügens. Und Architekturdarstellungen, deren Raumkonstruktionen hinter spiegelnden Flächen und irisierenden Farbvolumina
verschwinden. Es gibt immer etwas, das das Sehen behindert – gerade keine Übersicht, keine Annäherung, sondern immer irgendwelche Tropfen
und Lichtpunkte oder Kratzer, die sich dazwischen schieben.
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Auf den ersten Blick erscheint also angesichts der Malerei von Peter Holl nichts abwegiger als die Vorstellung von Nähe, nichts seltener gegeben als der
Überblick. Seine Bilder bleiben vielmehr noch im fotorealistischen Detail distanziert, und die Aufsicht auf das Motiv ist fast immer verstellt. Versteht man
dennoch den vom Künstler selbstgewählten Titel der Ausstellung „Nähe im Überblick“ als Teil des Werkes und offensichtliche
Selbstinterpretation der eigenen Malerei, dann kann die genannte Nähe nicht diejenige zum Dargestellten sein. Wenn der Zugang zum Bildsujet derart durchgängig
getrübt ist, dann ist nirgendwo anders als in dieser Trübung selbst die genannte Nähe aufzufinden. Das Bild ist nah – erstens für
seinen Produzenten, der mit dem Bild im Malakt in Berührung steht und zweitens für den Betrachter, dessen Sehen verortet und verleiblicht ist.
Das Malen und das Sehen sind bei Holl von Intransparenz gezeichnet. Das ist ungewöhnlich, denn für das Sichtbare gilt, zumindest in der philosophischen
Tradition, immer die Durchsicht als wesentlich. Das Medium der Visualität ist diaphan: Es ist das Licht, das – seinerseits unsichtbar – sehend
macht und als Bedingung jeglicher Erscheinung gilt. In der Malerei von Peter Holl zieht dieses das Sichtbare gewährende Element als Undurchsichtigkeit in die
Bilder ein. Zunächst verweisen Spiegelung, Unschärfe und Überbelichtung auf die fotografische Vorlage und zeigen an, dass sich der Realismus des
gemalten Motivs nicht auf die Wirklichkeit, sondern auf ihre Abbilder bezieht. Damit wird zum einen auf der Bildvermitteltheit der Realität insistiert und zum
anderen wird das Medium als Störung offenbar. Der Zugang zum Realen ist immer schon versperrt. Der Blick muss sich also erst durch die ganze Vermitteltheit und
geradezu stoffliche Undurchdringlichkeit hindurch bewegen, um selbst sehend zu werden.
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Signifikanterweise gibt es im Werk von Peter Holl eine ganze Serie, in der scheinen alle Bilder wie verregnet (Abb. Junge im Regen). Es sind Bilder von mit Tropfen
übersäten Scheiben, die den Blick nicht wie bei der finestra aperta nach draußen leiten, sondern ihn am regennassen Fensterglas arretieren.
Im Hintergrund erscheinen nur unscharf zu erkennende Figuren: zerfließende, verwaschene Gestalten. Natürlich ist das Bildmotiv des Wässrigen nicht
zufällig, denn die Malereien von Holl sind Aquarelle. Das Flüssige und Schwimmende des Farbauftrags, das Durchscheinende des Kolorits wird über das
Sujet des Regens potenziert. Die Tropfen auf Flächen sind also auch als Hinweis auf die konkrete handwerkliche Beschäftigung zu lesen, nämlich
buchstäblich durch das Liquide hindurch, bildliche Formen erstehen zu lassen.
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Betrachtet man desweiteren die fertigen Bilder aus der Nähe, dann wird man bemerken, dass sich in den dargestellten Wassertropfen tatsächlich nicht nur
die Farben des Bildes wiederholen und nicht immer die Auflösung der Formen bis zur abstrakten Unkenntlichkeit getrieben ist. Zwar bestehen die Tropfen oft
fast überwiegend aus weißen Licht- und Glanzpunkten, in manchen Bildern aber spiegeln sie das unscharfe Bildmotiv des Hintergrunds wider, freilich
zusammengeschrumpft, verzerrt und auf den Kopf gestellt, aber doch gewissermaßen schärfer und damit zugänglicher und unverstellter als im Bild,
weil es sich im Mikrokosmos der Wasserkügelchen – hier als Inbegriff der Malerei verstanden – in nächster Nähe zeigt
(Abb. Tropfen-Detail, Junge im Regen). Eigentlich sind die fließende Beschaffenheit der Farbe und die aquarellierende Malweise das genaue Gegenteil zum Opaken.
Es sind Medien des Diaphanen. Fast wollte man meinen, dass, so gesehen, die Bildsujets wie Fensterscheiben oder Regentropfen auf das Durchscheinende der Malerei referieren.
Was aber scheint bei Holl durch die Malerei hindurch? Die Welt? Das wirkliche Leben? Eher wohl doch die Malmaterie, ihre Verflüssigung und gelegentlich die Leinwand oder das Papier!
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So finden sich in einer anderen Serie mit Straßenszenen (Abb. Marienplatz) – oftmals fast bildmittig platziert – weiß leuchtende Flecken,
die von fast blendender Wirkung sind. Sie bilden die Spiegelung des Blitzlichts in den Scheiben ab, durch die hindurch das Draußen betrachtet wird. Ihre malerische
Interpretation ist aufschlussreich, denn sie bestehen – handwerklich gesehen – in der bloßen Aussparung von Farbe. Der Blick geht an diesen Stellen
bis auf den Malgrund hindurch. Die Blendung als Aussetzung des Visuellen erreicht in der Abwesenheit von Farbe ihre gebündelte Intensität. Hier verdichtet sich
die Malerei, obgleich sie aus Nichts zu bestehen scheint. Die stärkste Kraft hat das Bild also an jenen Stellen, die unbeschichtet sind. Bei aller Bildstörung
zielen die Arbeiten von Holl auf diese freigelegte oder pure Medialität: das überquellende Licht und die Opazität des Trägers kommen hier als das
eigentlich Bildgebende überein.
Zugleich scheint es hilfreich gleichsam heranzuzoomen und sich den Malakt vorzustellen. Die fotorealistische Bildproduktion macht erforderlich, sich die Details der Vorlage
so genau anzusehen, bis man in das ungegenständliche Gewebe des Sichtbaren selbst vordringt. Mit Lupe oder anderen technischen Hilfsmitteln zur Vergrößerung
ausgestattet, wird nicht das Bildmotiv als solches vom Künstler übertragen, sondern es werden nur die Elemente seines Erscheinens abgemalt. Es ist die Entstehung
des Sichtbaren aus dem für den undistanzierten Blick nicht Erkennbaren, aus dem Unscharfen heraus, aus Flecken und mithilfe von Tropfen, die sich von der Spitze des Pinselhaars
lösen. Denn auch das Malen selbst ist abstandslos, jeder Pinselstrich ist eine Berührung, in der allerdings Zurückhaltung mitgegeben ist. Sie ist der Liebkosung
ähnlicher als dem Ergreifen. Vielleicht ist es dieses Nahe, das das Visuelle unterschreitet und in Holls Bildern selbst noch im behaupteten Überblick mitgegeben ist
– als das, was man nicht sieht, aber doch spürt. Es gibt noch ein weiteres Indiz dafür, dass die Taktilität die eigentliche Bestimmung des Bildlichen ist.
Etymologisch gehört der Begriff der Schärfe oder Unschärfe interessanterweise nicht dem Bereich des Optischen an, sondern dem Haptischen und bezieht sich auf die
Schneidefähigkeit bestimmter Materialien. Im übertragenen Sinne meint Schärfe zunächst das Getrenntsein der Dinge, ihr Nichtverschwimmen, das deutliche
Sich-Abheben, die größtmögliche Erkennbarkeit. Der Einsatz von Unschärfe als bildnerischem Verfahren verweist im Gegenzug darauf, dass sich im visuellen
Feld die Unterschiedenheit der Dinge aus ihrer Ununterschiedenheit heraus entwickelt: aus einer berückenden Nähe, die viel weniger aneigbar ist als eine Gestalt. Der
Malakt gehört dieser Sphäre des Undistanzierbaren an.
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Ganz anders als in den Tropfen- und Spiegelungsserien ist das Moment der Nähe in einem Zyklus von Kirmesbildern gelagert. Sie scheinen den Titel gebenden Überblick
ohne Dazwischenkunft der ihn störenden Bildeffekte zu gewähren, zumal sie eine echte Aufsicht auf das Volksfest bieten. Paradox sind sie dennoch. Sie fangen etwas ein,
das eigentlich bildlich unaneigbar ist: das Leben in seiner flüchtigsten Form – im Vergnügen, in Verausgabung und Kontrollverlust. Die Kirmes verspricht die
intensiven körperlichen Empfindungen des Fliegens und Fallens, des Schwindels bis zum Erbrechen. Die Körper werden in Bewegung gebracht, durch die Luft gewirbelt und
in Schrecken versetzt, immer um sie ihrer Orientierung zu berauben und gerade dadurch zu entzücken. Das sind nun aber diejenigen sinnlichen Zustände, die sich visuell
am allerwenigsten erschließen. Nicht die Schönheit, Formgebung oder Gestalt, kurzum: der äußere, ästhetische Schein macht den Reiz des Jahrmarktes aus,
sondern körperliche Affektionen, der „Thrill“ von Grenz- und Schreckzuständen, die unter die Haut gehen und sich dem distanzierten Betrachten entziehen.
Vielleicht sind auf der Kirmes deshalb die Buden und Karusselle mit besonders lautstarken Bildern bestückt. Sie sind rein plakativ zur sofortigen Verführung ausgestellt
– eine unverblümtere Werbung gibt es kaum. Zu ihr tritt die Malerei von Holl in deutlichen Kontrast, wenngleich die grelle Jahrmarktsmalerei in seinen Bildern als Teil der
Kirmes gezeigt wird – und in der sie sich selbstredend auch reflektiert. Denn vor allem ist auffällig, dass beide Malweisen ein realistisches Verfahren teilen. Holl distanziert
sich von deren Bildsprache allerdings durch eine gewisse Auslöschung von Farbe: Gleichsam ihr Verblassen zeichnet die großformatigen Aquarelle aus. Auch der gewählte Aufblick
dämpft und entleert die Szenerie, er rückt dasjenige ins Bild, was nicht zur Schauseite der Volksfeste gehört. So dominieren in Holls Kirmesbildern die weißen Dächer
der Wohnwagen: alles Spektakuläre scheint wie verblichen.
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Als kunstgeschichtliche Referenz drängt sich die niederländische Genremalerei als Bezugspunkt auf. Nicht nur das Tondo, die runde Form von vier der Bilder, erinnert an sie,
vor allem das Motiv der Kirmes findet sich im Bildrepertoire der Alten Niederländer, etwa prominent bei Breughel, wieder (Abb. Pieter Breughel d.J.). Die Darstellung von Jahrmarkt
und Narrenfesten gehört in die sogenannte Lasterikonografie und demonstriert Vergehen infolge ausschweifender Maßlosigkeit: Trunkenheit und Völlerei, Schlägereien,
Unzucht, Gier, Eifersucht bis hin zu unflätigem, mithin gewaltsamen Treiben. Die Darstellung vom verwerflichen Lotterleben der bäurischen Gesellschaft war oftmals despektierlich
gemeint. Zugleich machte es den Reiz der Bilder aus, das sündige Leben, die Überschreitung von Anstand oder Norm in der Hingabe an die Begierden darzubieten, wenn nicht zu zelebrieren.
Anders bei Holl, dessen Kirmesbilder zwar an die so genannten Überblicks- und Wimmelbilder von Bauernfesten erinnern, aber das Gewimmel geradezu lichten und das Vergnügen erkalten lassen.
Auch die Verderbtheit ist banalisiert. Zumal die Ausschnitte der übertragenen Fotografien so gewählt sind, dass mit der Rückseite der Buden zugleich der unspektakuläre Alltag
ihrer Betreiber sichtbar wird und ineins damit die Fassadenhaftigkeit, Kommerzialisierung und Verwertung des Vergnügens unübersehbar ist. Melancholischer Verlust dessen, was einmal
als Figur der Überschreitung auf Erneuerung, Überfluss, Gewalt und Erregung zielte.
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Mit den Alten Niederländern teilt Holl die Spannung zwischen dem Thema des unmittelbaren Vergnügens oder ausschweifenden Lebens und dem kühlen Überblick.
Der weite Abstand sowie der Blick von oben sind in den Bildern von Holl Zeichen äußerster Zwiespältigkeit. Zum einen sind sie nicht anders denn als (soziale oder
moralische) Distanz zu lesen, zum anderen sind sie aber gerade Indizien der Involviertheit. Die bildlichen Vorlagen, die Holl selbst erstellt, wurden vom Riesenrad aus fotografiert.
Als Betrachter der Bilder ist man unverzüglich auf den Ort verwiesen, von dem aus die Ansicht gewährt wird. Auch hier schlägt die Ferne in Nähe um. Sie verweist
auf die leibliche Verankerung des Sehens und auf seine Situiertheit in der Welt. Man selbst ist in das visuelle Gewebe verstrickt und Teil des Sichtbaren, das man betrachtet. Auch
der Körper ist ein Medium, das näher nicht sein kann, das aber nach einer Formulierung von Walter Benjamin gerade deshalb als die „vergessenste Fremde“
überhaupt zu bezeichnen ist.
Die Malerei von Peter Holl zeigt also die Nähe als Bedingung des Bildes auf. Einerseits werden wir darauf verwiesen, dass wir das Diaphane als das Essentielle der Sichtbarwerdung
gewöhnlich übersehen und es der Eintrübung, der Verstellung, der Brechung und Reflektion des Medialen bedarf, um gleichsam an der Oberfläche des Bildes, quasi auf
seiner Haut, daran zu rühren, wie – mit Merleau-Ponty gesprochen – unsichtbar die Sichtbarkeit des Sichtbaren für gewöhnlich ist. Nur scheinbar paradox
muss man sie intransparent machen, damit sie erscheint. Holl erreicht dies interessanterweise, indem er das Diaphane potenziert, wenn er etwa – mit lasierender Farbe –
durchscheinende Tropfen auf Scheiben setzt. Wird das Medium des Visuellen in dieser Weise ansichtig, dann wird andererseits offensichtlich, wie berückend nah es immer schon ist.
Daher die eigentümliche Berührungsqualität der Bilder, die gerade nicht in einer greifbaren Materialität besteht, sondern im Gegenteil mit dem Flüssigen,
Wässrigen, Rinnenden und Durchscheinenden das Moment des Distanzlosen und Unfassbaren wahrt. Die Betonung des Zerfließenden bestärkt den Eindruck, dass es um das
bewegliche Entstehen des Sichtbaren in verwirrender Nähe geht, gleich hier unmittelbar in dem Milieu, in dem ich mich befinde, im Element, an dem ich teilhabe, dem „Fleisch
der Welt“, mit dem mein eigenes Sein befremdlicherweise verbunden ist.
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Kathrin Busch
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